Dresdner Romantikerweg  Auf den Spuren der Romantik
 

Carl Gottlieb Reissiger



Nach Carl Maria von Webers Tod bestimmte fast 30 Jahre lang ein heute vergessener Komponist die Geschicke der deutschen Oper in Dresden: Carl Gottlieb Reissiger (1798–1859). Er wurde als »Mendelssohn Dresdens« bezeichnet. Reissiger war ein musikalisches Universalgenie: Er spielte hervorragend Klavier, Orgel, Violine und Bratsche, trat sogar als Bass-Solist in Gewandhauskonzerten auf und komponierte enorm viel. In Wien, wo er Unterricht bei Antonio Salieri (1750–1825) genoss, entstand seine erste Oper, die aber nicht die Zensur passierte. Im Mai 1822 verabschiedete er sich aus Wien mit einem Konzert im Hoftheater, wo er gleichzeitig als Solist seines eigenen Klavierkonzertes und als Sänger einer Händelarie auftrat. Danach studierte er in München. Seine Oper »Didone abbandonata« wurde am 31. Januar 1824 durch Webers Empfehlung in Dresden aufgeführt, wo man so auf den jungen Komponisten aufmerksam wurde.
1823 ging Reissiger nach Berlin, wo er Marie Stobwasser (1811–1876) kennenlernte, die er später heiratete. Im Auftrag des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. (1770–1840) begab sich Reissiger auf eine Studienreise nach Frankreich und Italien. 1825 kehrte er nach Berlin zurück und erhielt eine Anstellung als Kirchenmusiker. Nach Webers Tod berief man ihn 1826 nach Dresden und Reissiger komponierte als Einführungsmusik seine »Missa solemnis«.
Natürlich hatte Reissiger anfangs Probleme mit dem italienischen Kapellmeister Francesco Morlacchi. Auch war er sich durchaus seiner Verantwortung als Nachfolger Webers bewusst, der die deutsche Oper in Dresden etabliert hatte. Erst 1828 verpflichtete man ihn offiziell als Webers Nachfolger. Reissiger trat der Freimaurerloge »Zu den drei Schwertern« bei. Nach Morlacchis Tod 1841 und dem Tod des italienischen Kapellmeisters Joseph Rastrelli (1799–1842) übernahm Reissiger zugleich die Leitung der italienischen Oper. Die Anstellung von Richard Wagner entlastete ihn zwar als Dirigenten, führte aber auch zu Spannungen zwischen den Künstlern.
Nach Wagners Verbannung, die aufgrund seiner Beteiligung am Maiaufstand 1849 ausgesprochen worden war, brachte Reissiger 1852 dessen »Tannhäuser« mit Erfolg auf die Dresdner Bühne. Nachdem 1850 Carl August Krebs (1804–1880) als Kapellmeister angestellt wurde, widmete sich Reissiger nun hauptsächlich dem klassischen Repertoire (Mozart, Gluck, Cherubini, Weber) und der Kirchenmusik. Er schrieb unzählige Lieder, Duette und Gesänge, zwölf Messen, das große Oratorium »David«, ein »Requiem«, mehrere Kantaten, Kammermusik und Instrumentalstücke. Zu seinen Kompositionen zählen auch neun Opern, die sich jedoch schon zu Lebzeiten nicht auf der Opernbühne behaupten konnten. Vielleicht lag es an den Libretti, vielleicht aber auch an seinem eher konservativen, vergleichsweise schlichten Stil. Natürlich komponierte Reissiger auch für anfallende Hoffestlichkeiten: zum Beispiel das Festspiel »Der Götter Wettstreit« anlässlich der Vermählung der Prinzessin Elisabeth (1850). Außerdem schrieb er 1855 die Musik zu Schillers 50-jährigem Todestag, der festlich im Hoftheater begangen wurde. Der Flötist und Musikhistoriker Moritz Fürstenau (1824–1889), der jahrelang unter Reissiger gespielt hat, charakterisierte seine Kompositionen als »deutsche Gemütsmusik«, die sich in innigen, fließenden Melodien äußert.
Charakterlich soll er ein angenehmer Mensch gewesen sein: »Ein unerschöpflicher liebenswürdiger Humor beseelte ihn, der ihn zum angenehmsten Gesellschafter machte; oft sang er mit schöner Bassstimme seine unübertrefflichen komischen Lieder im kleinen Kreise von Bekannten und Freunden.« 1858 erlitt Reissiger einen Schlaganfall, an dessen Folgen er im Frühjahr 1859 verstarb. Seine Frau überlebte ihn um zwanzig Jahre und kümmerte sich um die drei Kinder. Auf dem Trinitatis-Friedhof ist noch heute das Familiengrab zu finden.

Quelle: Petrick, Romy: Das musikalische Dresden, Dresden 2012